Bachelor- und Masterstudiengänge

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Der 25. Mai 1998 war ein historischer Tag für die europäische Hochschulpolitik. An diesem Tag unterschrieben die Wissenschaftsminister Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands in Paris die sogenannte Sorbonne-Erklärung. Gut ein Jahr später, am 19. Juni 1999 wird sie von der gesamten EU aufgegriffen und erweitert: 29 europäische Staaten unterzeichnen die Bologna-Erklärung. Sie definiert hehre Ziele: Die teilnehmenden Staaten wollen einen einheitlichen europäischen Bildungsraum schaffen. Abschlüsse sollen vergleichbar gemacht, Studiendauern angeglichen, Noten vereinheitlicht, die Mobilität von Studierenden und Lehrenden erhöht und ein Wiedereintritt ins Studium in fortgeschrittenem Alter ("Lebenslanges Lernen") ermöglicht werden. Wichtigster Schritt hierzu: Die Schaffung von drei gemeinsamen Ausbildungsstufen: Undergraduate Studies, die drei Jahre dauern und mit dem Bachelor enden. Darauf Graduate Studies, die mit dem Mastertitel honoriert werden; und schließlich ein dreijähriger Zyklus zum Doktorgrad.

Zwischen der Bologna-Konferenz und dem Verfassen dieses Artikels liegen dreieinhalb Jahre. In dieser Zeit hat der "Bologna-Prozess" seinen Weg von den Forschungsministern der Mitgliedsstaaten über unzählige Schreibtische und Verwaltungsinstanzen hinab zu den Universitäten angetreten. Mit Beginn des Wintersemesters 2003/4 informierte Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Frankenberg die Universitäten des Landes über die geplante Umsetzung der Verträge. Bundesweit soll bis 2010 der Hochschulbetrieb auf gestufte Studiengänge, nach den angebotenen Abschlüssen auch als "Bachelor-/Mastersystem" oder kurz Ba/Ma bezeichnet umgestellt werden. Baden-Württemberg will mal wieder allen einen Schritt voraus sein und verlangt von seinen Universitäten, ab dem Sommersemester 2007 keine Erstsemester mehr in Diplom- oder Magisterstudiengänge aufzunehmen (die Staatsexamens-Abschlüsse sind von den Reformen nicht betroffen). Bis dahin sollen alle bisherigen Abschlüsse durch ihre Ba/Ma-Pendants ersetzt sein. Derzeit erscheinen fast wöchentlich von unterschiedlichen Institutionen Richtlinien, wie ein Bachelor- oder Masterstudiengang auszusehen habe. Stellenweise widersprechen sich diese Papiere, vor allem aber wandeln sich die Anforderungen mit fortschreitender Zeit ständig. Beispielsweise gab es vor kurzem noch strikte Zulassungsbeschränkungen ("nur die besten 25% aus dem Bachelor") für Masterstudiengänge, seit noch kürzerem sind es nun nur noch milde Schranken ("ein guter Ba-Abschluss ist notwendig"). In den wichtigsten Eckpunkten sind sich aber die meisten (teilweise selbsternannten) Entscheidungsträger einig: Alle neuen Studiengängen sollen studienbegleitende Prüfungen (sprich: Scheinklausuren als Ersatz für Abschlussprüfungen) enthalten. Der Bachelor soll ein vollwertiger berufsqualifizierender Abschluss sein (was immer das z.B. bei Philosophen, Physikern, etc. heißen soll). Die neuen Studiengänge sollen von (kommerziellen) Akkreditierungsagenturen "zertifiziert" werden. Neben ihrem Hauptfach sollen die Studierenden in den neuen Studiengängen auch die beliebten "Schlüsselqualifikationen" (Lesen, Schreiben, Verkaufen, Amerikanisch sprechen) vermittelt bekommen. Vor allem aber sollen die Universitäten an der Umstellung qualitativ wachsen; sie sollen "exzellenter" werden, was für einige Politiker fast schon synonym für "angloamerikanischer" zu stehen scheint. Wohlgemerkt: Die gesamte Umstellung muss angesichts der (seit 20 Jahren) "knappen Kassen" kostenneutral geschehen.

An den Hochschulen regt sich freilich Widerstand gegen diese Diktate der Politik. Die verschiedensten Stellen stellen sich gegen den Bologna-Prozess. Stimmen gegen die neuen Abschlüsse reichen von äußerlicher Kritik - z.B. an den englischsprachigen Abschlüssen (schließlich klingt ein "Master in Germanistik" ein wenig albern) - bis hin zu sehr substantiellen Argumenten, von denen hier nur eine kleine Auswahl angesprochen werden kann.

Zunächst einmal weiß noch niemand so recht, was unsere Wirtschaft mit den vielen Bachelorn (der Leser lasse sich diesen Plural auf der Zunge zergehen, es kommen noch mehr solche Dinger) anfangen soll. Schließlich gibt es in Deutschland bereits Institutionen, die sich auf praxisnahe Ausbildung spezialisiert haben: Namentlich die Fachhochschulen und Berufsakademien, die in Zukunft natürlich auch Ba/Ma-Titel verleihen dürfen respektive müssen (was diese im Vergleich zum Uni-Ba/Ma wert sein sollen ist indes noch nicht ganz klar). In einigen akademischen Disziplinen gibt es nunmal kaum Interesse der Gesellschaft (gleich ob öffentlich oder privatwirtschaftlich) an den oberflächlich ausgebildeten Bakkalaurii (so der offizielle Lateinische Ersatztitel), nicht umsonst werden solche Fächer im angloamerikanischen Raum "einstufig" (also entweder direkt zum Master oder mit einem vierjährigen "Bachelor Honors" mit anschließendem PhD) gelehrt.

Ein weiterer Punkt, der den Studierenden übel aufstoßen wird, sind die studienbegleitenden Prüfungen. Gerade in den Geistes- und Naturwissenschaften, die in Heidelberg bekanntermassen besonders hohen Stellenwert genießen, waren bislang Selbstkontrolle, Freizügigkeit und eigenständiges Lernen geheiligte Ideale, von denen nicht viel übrig bleiben wird, wenn bis zum Abschluss konstant drei bis sieben Klausuren pro Semester geschrieben werden müssen. Eine Senkung der Durchschnittsstudiendauer ist erklärtes Nebenziel der Umstellung. Klar, dass das auf Kosten der akademischen Freiheit geht. Gefährlich wird es, wenn der Gesetzgeber das unvermeidliche Wirrwar der Umstellung dazu nutzt, andere Reformen, die bislang am Widerstand der Studierenden scheiterten, quasi durch die Hintertür zu realisieren. So steht z.B. im Hochschulrahmengesetz des Bundes, dass Erststudiengänge gebührenfrei zu sein haben. Masterstudiengänge sind aber zumindest nach der derzeitigen baden-württembergischen Lesart keine solchen, sondern Aufbaustudiengänge...

Schade, mag man denken, was uns da unter dem Deckmantel der europäischen Angleichung untergeschoben werden soll. Doch noch viel trauriger mag werden, wer sich vor Augen hält, wie wenig tatsächliche Angleichung der Prozess mit sich bringt. Über fachliche Inhalte verliert der Bologna-Vertrag nämlich kein Wort. Strukturen und Namen mögen sich angleichen, aber das sagt nichs über wirkliche Vergleichbarkeit aus. Was bringt es einer deutschen Chemie-Bachelorin (wieder so ein Unwort), wenn sie zwar den selben Titel tragen darf wie ihre englischen Kollegen, in ihrem Studium aber andere Inhalte gelernt hat und deshalb vor der Aufnahme an einem britischen College doch noch eine Aufnahmeprüfung machen muss (das britische NARIC, das im UK ausländische Titel bewertet, wie bei uns der DAAD, hat im Januar 2001 beschlossen, deutsche Bachelore (!) generell als den britischen gegenüber minderwertig einzustufen). Nicht einmal die Studiendauern werden sich angleichen: Selbst innerhalb Deutschlands darf ein neuer Bachelor zwischen 6 und 8 Semestern Regelstudienzeit haben, also ist noch nicht einmal auf nationaler Ebene Gleichheit gewährt. Auch die ECTS-Punkte, eingeführt um Abschlüsse auf eine gemeinsame Notenbasis zu stellen, helfen nicht weiter: Die Punkte werden nämlich auf Studienjahre renormiert: Für ein Jahr Vollzeitstudium bekommt jede(r) EuropäerIn 60 "Credits", ganz gleich ob es sich um ein atemloses 40-Wochen Jahr wie in GB oder unser geliebtes deutsches 30-Wochen Jahr handelt. Und auch ganz gleich ob "Vollzeit" für den 70 Wochenstunden Elite-Uni-Standard oder für ein entspanntes 25 Wochenstunden-Studium an einer "Party-Uni" (falls es sowas diesseits des Atlantiks tatsächlich geben sollte) steht.

Natürlich muss man auch Verständnis für die Entwicklung aufbringen: Schließlich haben wir es hier mit einer Mammutumstellung auf EU-Ebene zu tun, und solche Unternehmungen brauchen erfahrungsgemäß ihre Zeit, um sich von einigen Unbilden zu befreien. Auch gibt es gewiß einige alte Zöpfe in den unterschiedlichsten Studiengängen, deren Entfernungen mit der Ba/Ma-Umstellung endlich auf die Tagesordnungen der Fakultätsräte rutschen könnten. Verfolgt man jedoch die Veröffentlichungen der zuständigen Stellen, so drängt sich unvermeidlich der Eindruck auf, dass hier eine eigentlich gute Idee (nämlich die Mobilität europäischer Akademiker zu steigern) mit der einen Hand in bürokratischer Kleinlichkeit zerrupft wird während die andere klammheimlich die Gunst der Stunde ausnutzt, um die Gesetzestexte mit allerlei Gedankengut aus der neoliberalen Geisterbahn zu unterfüttern (Stichworte Studiengebühren, Studiendauerverkürzung, Verschulung, Schaffung eines Bildungsmarktes, Elitenbildung, etc.). Es bleibt zu hoffen, dass die Keimzellen der verkrüppelten universitären Selbstverwaltung, die Fakultätsräte, ihre Einflussmöglichkeiten auf die Studienpläne weise nutzen werden, um kommenden Studi-Generationen die Freizügigkeit zu erhalten, welche die eigentliche Exzellenz unseres Bildungssystem ausmacht, und die zumindest unsere Generation noch in Resten genießen darf. Ob diese Weisheit siegt hängt auch vom Geschick der Studierenden in den Räten ab. Sie werden bis 2007 kontinuierlich daran arbeiten müssen, das studentische Interessen nicht von den Leuten definiert werden, die keine Studis mehr sind. Wer sich engagieren möchte, wende sich vertrauensvoll an seine Fachschaft oder die FSK.

Primärliteratur:

http://europa.eu.int/comm/education/policies/educ/bologna/bologna_en.html
Die Seite der EU zum Bologna-Prozess.
http://europa.eu.int/comm/education/policies/educ/bologna/bologna.pdf
Text der Bologna-Erklärung.

Die sozialkonservative Seite:

http://www2.bdwi.de/uploads/bologna-prozess.pdf
Erklärung des "Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler e.V." zum Bologna-Prozess.
http://www.bdwi.de/texte/001.htm
Eine (längliche) Expertise des Politologen A. Keller im Auftrag eines (PDS-) Europa-Parlamentariers.

Die neoliberale Seite:

http://www.che-concept.de/cms/?getObject=260&strAction=show&PK_Projekt=175
Der Thinktank "CHE" des Bertelsmann-Konsortiums hat gleich eine eigene Abteilung für den Ba/Ma-Prozess mit mehreren hundert Seiten Text von Leuten mit ganz viel soft skills.