Kein Artikel über Hochschulreform: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 26. Juni 2011, 14:58 Uhr
BAföG-Schmarotzer, Bummelstudierende, Zwangsexmatrikulation, Studiengebühren, Bildungsgutscheine, ... aus den Medien kennt ihr zentrale Schlagworte der aktuellen Diskussion. Thema war anfangs noch Hochschulreform, bald wurde es eingeengt auf Studienreform und inzwischen wird Studienstrukturreform diskutiert. Die Kultusbürokratie konzentriert sich auf den schärferen Einsatz von Fristen, Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen und die Vorgabe formaler Eckwerte wie die Höchstzahl an Scheinen und schreibt Pest, Hagel, Hochwasser etc. den bösen Langzeitstudenten zu. Studentenwerk und StudentInnenvertretungen verweisen auf die miese soziale Lage der Studierenden. Und Studierende vom AK Hochschulreform halten die Freiheit des Studiums, die Entfaltung der Persönlichkeit und die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden in der Diskussion. Wenn ein Wille da sei, so erklären sie rührig, ließe auch das Geld sich finden. Viele Profs fluchen indessen über die Studentenmassen, die alle in der Schule nichts - vor allem kein Latein - gelernt haben und ihnen den Schreibtisch mit Hausarbeiten zumüllen.
Die Industrie redet gerne über Teamgeist, Wettbewerbsfähigkeit, Schlüsselqualifikationen und fordert eine Greencard für Fachkräfte, während rechte Kreise weiterhin die Angst vor der Akademikerschwemme verbreiten. Die Gesellschaft gibt es auch noch, und irgendwer faselt immer was von der besonderen Verantwortung der Wissenschaft . Grundlegende Reformen sind angesichts der Situation der Hochschulen offenbar längst überfällig - über Diagnose und Therapie ist man sich aber nicht so einig ... Nein, ein Grundsatzartikel wird entweder kilometerlang grundlegend oder nichtssagend kurz. Stattdessen bekommt ihr im folgenden einige Zahlen und Lesetips; ansonsten macht die Augen und später den Mund auf, geht zur Fachschaft, engagiert euch, steckt das Studium oder den Kopf in den Sand - oder blättert einfach weiter ... . Seit Jahren studieren Generationen von Studierenden an Hochschulen, die massiven finanziellen Einsparungen ausgesetzt werden. Während von 1977 bis 1990 die Zahl der StudienanfängerInnen um 72,8% stieg, wurde das wissenschaftliche Personal nur um 6%, die Mittel nominal um 70,5% und die Raumkapazität nur um 10,5% erhöht. Insgesamt sind die Studierendenzahlen von 1975 bis 1990 um 88,5% gestiegen, der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen am Bruttosozialprodukt sank im selben Zeitraum von 1,32% auf 1,12%. Die Betreuungsrelation verschlechtert sich daher kontinuierlich: immer mehr Studierende kommen auf eineN LehrendeN, derzeit kursieren Zahlen von durchschnittlich 1:49.
Unzureichende Arbeitsbedingungen, Fachwechsel, mangelhafte Beratung, Terminierung bzw. Dauer der Prüfungen verlängern das Studium ebenso wie Auslandaufenthalt, Fremdsprachenerwerb, Tätigkeit in Orchester, Theatergruppe, Kirchengemeinde, Bürgerinitiative oder Fachschaft.
Allerdings: Langzeitstudierende studieren zwar absolut länger, belasten aber die Hochschulen in der Regel nicht entsprechend stärker. Die soziale Orientierung der Studierenden hat sich verändert: Für viele Teilzeitstudierende liegt der Lebensschwerpunkt - häufig bewusst - außerhalb der Hochschule, z.B. in Job und/oder Familie. Die Zahl der BAföG-EmpfängerInnen sank in der Zeit der Kohl-Regierung, die meisten BAföG-EmpfängerInnen erhalten derzeit Kleinbeträge und müssen dazuverdienen. Die neue BAföG-Regelung, die am 1.4.2001 in Kraft trat, wird hier vielleicht einiges ändern. Der knappe Wohnraum ist häufig überteuert, viele Studiengänge sind formal oder inhaltlich überfrachtet, Seminare und Praktika überfüllt bzw. werden nicht regelmäßig angeboten. Hinzu kommen schwierige Rahmenbedingungen, wie mangelnde Krippen- oder Kindergartenplätze für Kinder von Studierenden, ungünstige Berufsaussichten und zunehmende Erwerbstätigkeit neben dem Studium: Inzwischen arbeiten insgesamt 66% für ihren Lebensunterhalt, 56% sogar während des Semesters.
Als Antwort greifen PolitikerInnen gerne wird ein Symptom (z. B. "zu lange Studienzeiten") heraus und weisen die Schuld den Betroffenen zu. Als Gegenmaßnahmen folgen dann schärfere Kontrollen bei der Einhaltung von Fristen - insbesondere der sogenannten "Regelstudienzeiten" - sowie Aufnahmeprüfungen und Auswahlgespräche, um die Unfähigen gleich von der Hochschule fern zu halten. Studiengebühren, dürfen auch nicht fehlen, denn viele "Ungeeignete" haben nicht viel Geld... So wird der soziale NC ausgebaut und der Zugang zu Bildung eingeschränkt. Publikumswirksame Landeslehrpreise und lange Jahre hinweg anhaltende Kürzungen beim BAföG runden das Bild ab. Diese Maßnahmen lösen die Probleme jedoch nicht, vielmehr machen sie diejenigen, die den mangelhaften Zuständen ausgesetzt sind, zu Sündenböcken. Viele, die wirklich gerne schneller fertig wären, schaffen es damit erst recht nicht.
Die FSK lehnt wie viele andere Studierendenvertretungen die oben genannten Ansätze ab. Bildung ist für die Fachschaften ein lebenslanger Prozess, der auch die Persönlichkeitsentfaltung umfasst. Die momentan vorangetriebene Verschulung führt zu einer einseitig auf äußerliche Leistung und Effizienz zielende Hochschullandschaft. Das schnelle Studium wird hier zum Selbstzweck und Berufsorientierung zur Floskel, denn auch die Vorbereitung auf spätere Tätigkeiten wird nicht ernsthaft betrieben. Das Einhalten der Regelstudienzeit wird zum Indikator für Eignung: ob beispielsweise angehende Lehrkräfte auf Kinder und Jugendliche eingehen können und über ein solides umfassendes Fachwissen verfügen ist, ist weniger wichtig als ihre Studiendauer. Das Abwägen zwischen Ökologie und Ökonomie, das Eingehen auf Benachteiligte, Minderheiten oder aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen sind jedoch Fragen, die an Hochschulen nicht nur im Rahmen von Aufrufen und Jahresfeiern behandelt werden dürfen! Die Fachschaften versuchen, in den Fachbereichen über die Mitgestaltung des Lehrangebots darauf Einfluss zu nehmen, dass Studium mehr ist als ein bloßes Schein-Studium.
Wer sich mit derartigen Fragen befassen will und den KahlschlägerInnen in den Ministerien und Rektoraten nicht das Feld überlassen will, muss sich leider durch einige Papiere arbeiten: ein Minimum an "Grundwissen" über das Bildungssystem und seine AkteurInnen, sowie die Kenntnis verschiedener aktueller Positionen gehören dazu. Zu diesem Zweck halten freundliche ReferentInnen im ZFB Originaltexte, Übersichten und Informationssammlungen für euch bereit.
Allgemein:
- Wolf Wagner: Uni-Angst und Uni-Bluff. Wie studieren und sich nicht verlieren. Neuauflage 1992
Klassiker in Sachen Entlarvung der abweisenden Fassade der Universität. Gewährt tiefen Einblick in die Rituale der Einschüchterung, die ein sinnvolles Studium blockieren. Empfohlen ab 1. Semester. Hist.
- Das Lesebuch zum Studium: Studienerfahrung vom 13. Jahrhundert bis heute. Herausgegeben von Vera Pagin, Frankfurt 1990
Zusammenstellung aufschlussreicher - und unterhaltsamer - Erfahrungsberichte von Studierenden aus 6 Jahrhunderten.
Zur Geschichte:
- Gelegentliche Gedanken über Universitäten: Von Engel, Erhard, Wolf, Fichte, Schleiermacher, Savigny, v. Humboldt, Hegel. Herausgegeben von E. Müller, Leipzig 1990
Zusammenstellung der Diskussion um die Gründung der Universität Berlin um 1800.
- Bildungspolitik in Deutschland 1945-1990: Ein historisch-vergleichender Quellenband. Herausgegeben von O. Anweiler, H.-J. Fuchs, M. Dorner, E. Petermann, Bonn 1992
Quellen und Übersichten zur Bildungspolitik in beiden deutschen Staaten. Ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung gegen eine Bereitstellungspauschale zu bestellen (z. Z. leider vergriffen).
- Ludwig von Friedeburg: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt 1992
Gesellschaftsgeschichte deutscher Bildungspolitik streift das Mittelalter und umfasst dann schwerpunktmäßig den Zeitraum von der Aufklärung bis heute (533 Seiten).
- Gerhard A. Ritter: Großforschung und Staat: Ein historischer Überblick, München 1992
Behandelt Entstehung, Entwicklung und gegenwärtige Probleme der modernen Großforschung in Deutschland und ihr Verhältnis zu Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.
Zur Wissenschaft:
- "DUZ special": Beilage zur Deutschen Universitätszeitung vom 4.10.1992 stellt Wissenschaftsorganisationen und Stiftungen vor.
- S. Bär: Forschen auf Deutsch. Der Machiavelli für Forscher, und solche die es noch werden wollen, Darmstadt 1993: "unverzichtbares, unersetzliches und unausweichliches Handbuch für den, dessen Ehrgeiz es ist, Professor zu werden".Erklärt zentrale Begriffe wie "Science Citation Index", "Peerreview", "Labor", "Seilschaft" oder "Größenwahn". Empfohlen ab 1.April.
- Otto Wunderlich (Hrsg.): Entfesselte Wissenschaft. Beiträge zur Wissenschaftsbetriebslehre, Opladen 1993: Standardwerk zur deutologischen, pseudologischen und banalogischen Beschäftigung mit Wissenschaft. Die Wissenschaftlichkeit dieses Werks (AutorInnen u.a.: S. Blauaug, S. Halb-Unschuld, M. Dilletantini, M. Meier und H.-H. Harmlos) wird zwar auch angezweifelt, dennoch eine hervorragenden "Standortbestimmung des Wissenschaftsbetriebs in der postkommunikativen Gesellschaft" (Prof. Dr. J. Überall). Empfohlen ab Vordiplom bzw. Zwischenprüfung.
Zahlen & Fakten:
statistische Daten zu Abschlusszielen, Studiendauer, Heimatort, Alter, etc. Hg. von der Universitätsverwaltung. Gedruckte Exemplare werden in der Regel nicht abgegeben (sind aber in der Univerwaltung einsehbar).
- "Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik Deutschland": Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
"Wird regelmäßig neu aufgelegt. Enthält bundesweite Daten zu Wohnsituation, Einkommen, Familienstand, Bildungsgang, Geschlecht, Ernährung, ... der Studierenden.
- "Fachstudiendauer an Universitäten": Untersuchung des Wissenschaftsrats
Enthält interessante statistische Daten über die Studiendauer wie z.B. Zeitpunkt der Ablegung der Zwischenprüfung in den verschiedenen Fächern.
- "Grund- und Strukturdaten des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft"
"Wird regelmäßig neu aufgelegt. Enthält Zahlen zum gesamten Bildungsbereich vom Kindergarten bis zur beruflichen und Weiterbildung, außerdem allgemeine demographische Daten, regionaler und internationaler Vergleich.