Die Diskussion

Aus Das Dschungelbuch - bis 2021
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Mit der Verabschiedung des LHGEbG hat sich die Landesregierung endgültig von dem Grundgedanken einer frei zugänglichen und kostenfreien Bildung für Menschen aus allen sozialen Schichten verabschiedet. Das „Grundrecht Bildung“, welches eine der wichtigsten Grundlagen unserer Gesellschaft und die Voraussetzung für Fortschritt und Entwicklung innerhalb derselben darstellt, degradiert Bildung zur Ware und macht den Zugang zur Hochschulbildung abhängig von den Einkommensverhältnissen der Betroffenen. Bereits jetzt ist in Statistiken klar ersichtlich, dass weitaus mehr Kinder aus einkommensstarken Familien ein Studium aufnehmen als Kinder aus einkommensschwächeren Familien. So ist der Anteil der Studierenden mit sozial niedriger bis mittlerer Herkunft im Zeitraum von 1982 bis 2003 von 57% auf 39% gesunken (vergleiche hierzu die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) und des Hochschul-Informations-Systems (HIS)) und dies, obwohl zu dieser Zeit noch keine Studiengebühren erhoben wurden.


Auch ohne 500 Euro pro Semester bezahlen zu müssen, stellt das Studium eines oder mehrerer Kinder für die meisten Familien oder für die Studierenden selber bei den momentanen Lebensunterhaltskosten in Deutschland eine große finanzielle Belastung dar. Zwischen 700 und 800 Euro benötigt ein Student/eine Studentin in Deutschland pro Monat. 63% der Studierenden der Bezugsgruppe Normalstudent (nicht im Elternhaus wohnende StudentInnen im Erststudium) bestreitet zumindest einen Teil ihrer Lebensunterhaltskosten durch Nebentätigkeiten, 27% der Studierenden beziehen Bafög, wobei nur 1% der Studierenden ausschließlich von der Bafög-Förderung leben. Es lässt sich aus diesen Daten hochrechnen, welche Folgen die Einführung allgemeiner Studiengebühren haben wird: Wenn noch mehr Studierende arbeiten müssen, werden die Studienzeiten länger und die Qualität des Studiums Leiden.


Zudem werden Studierende mit finanziell starkem Hintergrund die Studiengebühren direkt bezahlen können, während Studierende aus einkommensfernen Schichten einen Kredit bei der L-Bank aufnehmen müssen, der mit einem unverhältnismäßig hohen Zinssatz von ca. 7 % verzinst wird. Neben der abschreckenden Wirkung des absehbaren Schuldenbergs nach dem Studium, stellt sich hier auch die Frage, ob es gerecht ist, wenn Studierende mit geringem Einkommen am Ende (einschließlich der Zinsen) noch mehr Geld bezahlen müssen als Studierende, die die Gebühren zahlen können.


In diesem Zusammenhang hinkt auch der immer wieder angebrachte Vergleich mit anderen Ländern, die ebenfalls Studiengebühren erhoben haben, denn viele dieser Länder verfügen über ein umfassendes Stipendien- und Förderungssystem, das soziale Ungleichheiten auffangen kann. Im internationalen Vergleich lässt sich feststellen , dass die Zahl der Studienanfänger nach Einführung allgemeiner Studiengebühren deutlich gesunken ist (z.B. Österreich). Eine Übernahme von Elementen aus anderen Staaten ist daher nur sinnvoll, wenn auch die Begleitumstände des dortigen Gesellschaftssystem berücksichtigt werden: die Peitsche treibt das Pferd an, nicht aber das Auto! Der Vergleich mit anderen Ländern führt also deutlich vor Augen, dass in Baden-Württemberg ein Gesetz verabschiedet wurde, ohne vorher die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen und warnt uns für die Zukunft vor sinkenden Studierendenzahlen und außerdem vor allmählich steigenden Studiengebühren (s. Australien).


Auf Grund der mit jedem Semester steigenden Kosten ist davon auszugehen, dass von nun unter Zeitdruck studiert wird und nur noch das Nötigste erbracht werden kann. Auch die Umstellung auf Bachelor und Master stellt in einen klaren Richtungswechsel hin zu möglichst kurzen Schmalspur-Studiengängen dar, in denen nur das Nötigste vermittelt wird und die Studierenden lediglich auf ihren Einsatz auf dem Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Von freiem Lernen oder gar Forschen an einer Bildungseinrichtung mit gesellschaftlichem Auftrag kann hier nicht mehr die Rede sein. Auch studentische Aktivitäten neben dem Studium werden unter den Veränderungen zu leiden haben.


Zuletzt bleibt fraglich, ob durch Studiengebühren überhaupt eine Verbesserung der Lehre herbeigeführt wird. Die Beträge sind relativ zu den fehlenden Geldern für strukturelle Maßnahmen lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein – abgesehen davon, dass ein Teil der Gelder in den Ausfallfonds und die Verwaltung der Gelder fließen. Außerdem ist bereits jetzt absehbar, dass die Landesregierung den Hochschuletat mit der Begründung kürzen wird, dass den Universitäten nun Studiengebühren als neue Finanzmittel zur Verfügung stehen. So kann über Studiengebühren rückwirkend der kränkelnde Landeshaushalt saniert werden. Empirisch lässt sich an anderen europäischen Ländern die bereits Studiengebühren eingeführt haben beobachten, dass den Universitäten nach der Einführung insgesamt nicht mehr Mittel zur Verfügung standen, sondern der Staat sich proportional aus der Hochschulfinanzierung zurückzog (z.B. Portugal). Es ist insofern sicherlich ein Irrsinn zu glauben, die Studiengebühren könnten die Probleme des deutschen Bildungssystems tatsächlich lösen. Auch die wiederholt beklagte geringe Anzahl an Studienanfängern in Deutschland wird durch die Erhebung von Studiengebühren sicher nicht erhöht werden.


Mit der Einführung allgemeiner Studiengebühren erhalten nun auch im Bildungssektor marktwirtschaftliche Mechanismen Einzug; wie in anderen Politikbereichen werden uns Privatisierung und Kommerzialisierung als Allheilmittel verkauft. Bezahlen werden wir diese vorgebliche Rettung mit der Aufgabe des freien Hochschulzugangs, verstärkter sozialer Auslese und der Verarmung universitärer Bildung.


http://www.mwk.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/pdf/studium/studiengebuehren/Gesetz_z_LHsgG.pdf Der Gesetzestext http://www.uni-heidelberg.de/imperia/md/content/studium/download/rechtsgrundlagen/senatsbeschluss_studiengebuehren.pdf Das Verteilungsmodell der Universität Heidelberg http://www.uni-heidelberg.de/studium/interesse/gebuehren/beschlussfassungen.html Die Seite der Univerwaltung zu Studiengebühren http://www.fsk.uni-heidelberg.de/studiengebhren/ Die FSK-Seite zu Studiengebühren